Über den Text hinaus
Robert J. Matthews, Direktor der Akademischen Forschung für die Abteilung für Seminare und Institute in der Mormonenkirche, hat eine große Menge Nachforschungsarbeit über Joseph Smiths Inspirierte Version geleistet. In einem Artikel, der in einer jüngeren Ausgabe der BYU Studies veröffentlicht wurde, räumt Dr. Matthews die Möglichkeit ein, dass Joseph Smith Material hinzugefügt haben kann, das nie in den Originalmanuskripten der Bibel enthalten war:
„Die Frage könnte erhoben werden, ob der Prophet tatsächlich den Text wieder herstellte, wie Matthäus ihn schrieb, oder ob er als Seher, der er war, sogar ÜBER DEN TEXT HINAUS ging und ein Ereignis berichtete, das tatsächlich während der Predigt stattfand, aber das Matthäus nicht mit einbezog. Dies kann nicht mit Sicherheit entschieden werden; … es ist unwahrscheinlich, dass er etwas 'hinzufügen oder wegnehmen' würde, es sei denn durch die Vollmacht göttlicher Offenbarung… Das Wie der Revision des Propheten der Bergpredigt ruft nach einem Ausdruck einer Inspiration und könnte entweder eine Wiederherstellung des Materials repräsentieren, das einmal in Matthäus’ Bericht über die Predigt vorhanden war, oder er geht ÜBER Matthäus HINAUS und wiederholt ein Ereignis direkt hinter dem Text, das sich während der Predigt ereignete, aber das Matthäus NICHT berichtete.
Ein weiteres Beispiel von direkter Predigt, die man nur in der Inspirierten Version findet, ist Matthäus 9:18-21, wo von einer Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Pharisäern und von einem Informationsaustausch über das Thema Taufe erzählt wird, der NICHT in der King-James-Version berichtet wird… Wie bei dem vorherigen Beispiel kann man sich wiederum fragen, ob diese Begegnung zwischen Jesus und den Pharisäern wirklich, wie in der Inspirierten Version berichtet, stattfand. Sie ist entweder historisch oder nicht. Wenn sie nicht historisch ist, dann wäre sie einfach nur eine literarische Erfindung, die vom Propheten angewendet wurde, um eine Lehre zu übermitteln; aber da der Prophet nicht dafür bekannt ist, Erfindungen dieser Art in den anderen Schriften zu benutzen, die er produzierte, gibt es einen erheblichen Grund, zu glauben, dass der Prophet diese Passage als historische Tatsache betrachtete. Es scheint vernünftig, die Schlussfolgerung zu ziehen, dass die Inspirierte Version in diesem Punkt entweder eine Wiederherstellung von Matthäus’ Originalbericht oder ein Zusatz zu einem Ereignis darstellt, das während der Amtszeit Jesu stattfand, das Matthäus NICHT berichtete, aber das dennoch zur Diskussion in Matthäus Bericht gehört… Es ist wahrscheinlich, dass die Inspirierte Version Vieles ist und dass nur Teile davon Wiederherstellungen darstellen, während andere Teile ERKLÄRUNGEN, EINFÜGUNGEN, ERWEITERUNGEN, VERDEUTLICHUNGEN UND ÄHNLICHES sein können.
Die Wissenschaft der Textlichen Kritik erhebt einen Einwand gegen die Inspirierte Version als eine Wiederherstellung des Originaltextes auf der Grundlage, dass die Arbeit des Propheten NICHT umfassend von den vielen antiken Manuskripten und Fragmenten der Bibel, die jetzt von Gelehrten allgemein benutzt werden, unterstützt wird. Dies kann aber möglicherweise auf zweierlei Weise erklärt werden. Erstens: Es sind keine Originalmanuskripte der Bibel erhältlich und selbst die frühesten erhältlichen Dokumente sind von den Originalen viele Jahrzehnte lang entfernt gewesen. Eine Verderbung des Textes könnte in den Jahren dazwischen stattgefunden haben. Zweitens: Viele der Passagen in der Inspirierten Version können Wiedererzählungen von Ereignissen sein, die entweder von den biblischen Schreibern NICHT berichtet wurden oder verloren gingen, bevor die Bibel zusammengestellt war; in diesem Fall würden nicht einmal die originalen Bibelmanuskripte diese Information enthalten…
Meine Analyse führt mich zur Schlussfolgerung, dass die Inspirierte Version Vieles ist. Es gibt Passagen, die stark überzeugend Wiederherstellungen des Originaltextes oder sogar von historischen Ereignissen JENSEITS DES TEXTES sind. Es gibt weitere Passagen, die inspirierte ERKLÄRUNGEN sein können, aber nicht notwendigerweise Wiederherstellungen.“ (BYU Studies, Winter 1969, Band IX, S. 170-174)
Der Mormonengelehrte Dr. Hugh Nibley hat vor kurzem erklärt:
„Welche Übersetzung auch immer durch die Gabe und Macht Gottes kommt, sie ist sicherlich keine Übersetzung im üblichen Sinne… In jedem Fall, in dem er eine Übersetzung hervorgebracht hat, hat Joseph Smith deutlich gemacht, dass seine Inspiration AUF KEINE WEISE AN IRGENDEINEN ANTIKEN TEXT GEBUNDEN IST, sondern sie ist frei, sich jeder Zeit FLÜGEL ANZULEGEN.“ (BYU Studies, Herbst 1969, S. 71)
Dr. Nibley und andere Mormonengelehrte würden ohne Zweifel gern beweisen, dass Joseph Smith sorgfältig antiken Texten folgte, die er zu übersetzen vorgab, aber da die Beweise so deutlich gegen eine solche Vorstellung sprechen, sind sie gezwungen, zu sagen, dass Joseph Smiths Inspiration jenseits des geschriebenen Textes geht. Wir haben das Gefühl, dass dies eine extrem kompromittierte Position ist und der Verwerfung des gesamten Werkes Joseph Smiths nahe kommt. Die Frage kommt in den Sinn: Wo zieht man die Linie zwischen „Inspiration“ und „Phantasie“?
Die Reorganisierte HLT-Kirche veröffentlichte und förderte Joseph Smiths Inspirierte Revision, dennoch scheint ihr eigener Kirchenhistoriker nahe daran zu sein, sie zu verwerfen. In seinem neuesten Buch Restoration Scriptures machte Richard P. Howard folgende Aussagen:
„Betrachtet man diese Themen, wie er es tat, vom vorteilhaften Standpunkt seines eigenen christlichen Hintergrunds aus, hätte Joseph Smith ziemlich natürlich dazu geneigt, sich aus der symbolischen vorchristlichen Sprache des Alten Testaments bestimmte einheitliche Bedeutungen herauszulesen. Zum Beispiel helfen einem die Bezugnahmen auf den Heiligen Geist und den Einziggezeugten – Begriffe aus der frühen Christengemeinschaft – zu erkennen, dass sogar in diesem frühen Stadium der Entwicklung der Text in einem gewissen Sinne Joseph Smiths studierten theologischen Kommentar zur King-James-Version der frühen Genesis-Kapitel wiedergibt.
...Josephs großes Vertrauen auf die elisabethanische englische Sprache des frühen siebzehnten Jahrhunderts und den Stil der King-James-Version während dieses zweiten Dokuments hindurch macht diese Annäherung der verbalen Inspiration an die Sprache der frühen Genesis-Kapitel seiner Neuen Übersetzung unhaltbar.“ (Restoration Scriptures, S. 77)
„Was auch immer der Fall sein mag, die Änderungen des King-James-Textes in Matthäus 24 der Neuen Übersetzung fügen weder materiell dem Inhalt etwas hinzu noch erläutern sie die Andeutungen des Matthäus-Textes.“ (Ebd. S. 86)
„Es ist somit unnötig und könnte irreleitend sein, aufzutreten und 'direkte' Offenbarung bei der Festlegung des gesamten Textes der Inspirierten Version zu beanspruchen, wie es im Vorwort, das für die 1867er-Ausgabe geschrieben wurde, unterstellt wird.“ (Ebd., S. 151)
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